@ altberlin, glaube ich Dir gern, das das Leben in den Sechzigern anders war als in den Achtzigern.
Ich möchte noch mal auf diesen Satz von Dir zurück kommen:
Zitat
Die waren schlecht informiert über das, was sie auf der anderen Seite erwarteten würde
Ich schrieb ja gerade, was mir so beigebracht wurde über den Westen. Die DDR, die UdSSR, RGW usw. wurden selbstverständlich als das Paradies dargestellt. Und ich habe das geglaubt. Wie sollte ich auch einen Vergleich ziehen? Infos von der anderen Seite hatte ich nicht. Ich war glücklich in einem so tollen Staat wie der DDR aufzuwachsen, in Sicherheit und Frieden. Ich war froh darüber das die Sowjetarmee uns vor den Faschisten in der BRD schützte. Ach, was wurde uns da alles von unserem Direktor, gleichzeitig Stabülehrer, erzählt. In der Bundeswehr grüßt man mit dem Hitlergruß. Die Menschen in der BRD hungern. Ärztliche Versorgung gibts da nur für reiche Kapitalisten. Und was weiß ich noch für Schmarrn. Ich war wirklich froh, in der DDR zu leben.
Zum ersten Mal überlegt habe ich kurz mit 14. Wir wohnten damals noch in Teutschenthal, einem kleinen Dorf im Saalkreis. Smithie kennt es sicher. Es gab ein Kaliwerk dort. 1984 oder 1985 kamen Österreicher. Sie bauten dort eine neue Anlage. Sie fuhren schicke Autos, waren wohlgenährt, trugen tolle Klamotten. Sie hatten die Taschen voller Geld, lebten in Saus und Braus. Auf der Baustelle Riesenradlader, Kräne, Bagger. Sollte das der sterbende Kapitalismus sein? Waren das die hungernden, ausgebeuteten Arbeiter, die zu Hause in verfallenen Häusern leben sollten, während sie bei uns lebten wie Könige? Zweifel kamen auf. Allerdings nicht für lange. Die sozialistische Erziehung saß viel zu tief.
In der neunten Klasse wurde im Geschichtsunterricht über den II. Weltkrieg gesprochen. Wir lernten wie die ruhmreiche Rote Armee Europa von den Hitlerfaschisten befreite. Auch wurde von den Gräueltaten der deutschen Soldaten in Russland berichtet. Alles kriege ich heute nicht mehr zusammen. Eines jedoch blieb hängen. Unser Geschichtslehrer erzählte uns, das deutsche Soldaten, wenn sie eine Ortschaft in Russland einnahmen, kleine Kinder auf ihre Bajonette spießten und in die Luft warfen. Für mich als 15-jährigen Jugendlichen war so etwas unvorstellbar. Mein Opa väterlicherseits war auch bei der Wehrmacht. Er beendete den Krieg als Hauptmann in kanadischer Gefangenschaft. Und dieser Mann, der immer so lieb und nett zu uns war, sollte ein paar Jahre zuvor ein solches Monster gewesen sein, das kleine Kinder aufspießte? Also stellte ich Fragen. Im Unterricht. Ich merkte jedoch schnell, das das nicht sonderlich erwünscht war. Viele und lange Gespräche beim Direktor folgten. Ich würde die gerechte Sache des Sozialismus in Zweifel ziehen, an den Erfolgen und den Vorstellungen der großen Sowjetunion rütteln, usw. Jetzt kamen mir erst recht Zweifel. Ein solches Brimborium wegen ein paar gezielten Nachfragen?
Dann kamen die Offiziere in die Schule. Man machte uns 15-jährigen das Leben in der NVA schmackhaft. Das was uns erzählt wurde, muß der Dienst in der NVA ein wahres Paradies gewesen sein. Ein Abenteuer wie es kein zweites geben würde. Ich war ein guter Schüler. Die POS habe ich mit "Sehr Gut" abgeschlossen. Hatte geplant auf die EOS zu gehen und später zu studieren. Mathematik, Physik vielleicht. Daran hatte ich Spaß. Mir wurde deutlich gemacht, das ein Studium nur möglich wäre, wenn ich mich 3 Jahre zur NVA verpflichten würde. Mein Gott, was wurde da von einem 15-jährigen erwartet. Ich hatte überhaupt keine Lust auf Armee. Da fiel dann von meiner Seite, der für mich völlig unverfängliche Satz: " Ich krauche doch nicht 3 Jahre durch den Schlamm, wenn ich auch was vernünftiges machen kann". Von da an war ich abgestempelt. Ich durfte nicht mehr mit zu Klassenfahrten, durfte nicht an irgendwelchen Jugendstunden (oder wie das hieß) teilnehmen. Nicht mal beim Sportfest durfte ich mitmachen. Überall nur Ausgrenzung. Kannst Du Dir vorstellen, wie man sich da als 15-jähriger Jugendlicher fühlt? EOS war natürlich gestorben für mich. Nicht mal meinen Ausbildungsplatz durfte ich mir selber aussuchen. Auch der wurde mir zugewiesen. Mußte dann eine Lehre zum Elektromonteur bei der DR machen.Dazu kam, aus Trotz bin ich nach der 10. Klasse aus der FDJ und der DSF ausgetreten. Hatte eigentlich keinen politischen Hintergrund, war eine reine Trotzreaktion. Irgendwie brachte dies das Fass endgültig zum Überlaufen. Meine Ausbilder behandelten mich wie einen Aussätzigen. Ich konnte machen was ich wollte, es war immer falsch. Wenn ich daran denke, wie oft ich die Schrottbox aufräumen mußte. Alu, Kupfer und Bronze, immer schön trennen. Die Woche drauf war wieder alles zusammengeschmissen und ich habe von vorn angefangen. Was gelernt habe ich nicht wirklich. Mit Ach und Krach habe ich meinen Abschluß hinbekommen.
Mit jedem Tag wuchsen damals die Zweifel. Was hatte ich eigentlich getan? Ich hatte niemanden geschadet. Nur eins- zweimal ein paar Fragen gestellt. Die Mauer kam mir damals nicht mehr als Schutzwall gegen den Westen vor. Für mich war sie nur noch die Begrenzung eines riesigen Gefängnisses. Damals reiften die Pläne, ich muß hier raus. Aber da war auch die Angst. Jeder in der DDR wußte doch, das die Grenze scharf gesichert war, das auf Flüchtlinge geschossen wurde. Das kann in den Achtzigern doch niemandem mehr unbekannt gewesen sein. Die Ereignisse überrollten dann meine Pläne. Ich bin sofort nach Bayern. Zu groß war die Angst, die Staatsmacht könnte alles wieder rückgängig machen. Bis heute habe ich diesen Schritt nicht bereut. Ich konnte endlich frei leben. Ich konnte mir die Arbeit aussuchen, die mir gefiel, woran ich Spaß hatte. Ich konnte reisen, die Welt entdecken, mein Leben machte mir wieder Spaß. Ironie der Geschichte. Den Dienst in der NVA wollte ich nicht, aber ein Jahr später landete ich bei der Bundeswehr, wo ich acht Jahre blieb. Allerdings war das meine freie Entscheidung.
Ich weine dieser DDR keine Träne nach. Vier, Fünf Jahre nur Erniedrigung, Ausgrenzung, Demütigung. Wenn das der real existierende Sozialismus ist (war), kann ich da gerne drauf verzichten.
Bevor jetzt wieder jemand kommt und erzählt so war es nicht, das waren meine Erlebnisse. Manche haben vielleicht ähnliches erlebt, mancher hatte völlig andere Erlebnisse Ich bitte das zu bedenken.
Schöne Grüße,
micha