Hallo Quintus,
das ist ja ein verdammt anspruchsvolles Thema! Könnte durchaus eine hochkarätige Riege von Wirtschaftsfachleuten beschäftigen, für eine entsprechende Tagung. Aber eigentlich geht dieses Thema jeden von uns an, und so ist es gerade in diesem Forum ganz gut aufgehoben.
Ich mach' mir da so meine eigenen Gedanken und lasse mal Karl Marx, Adam Smith oder John Keynes einfach außen vor.
Es begann ja alles mit der Aufklärung und der Industrialisierung - ein bisher einzigartiges Phänomen, für das es keine historischen Vorbilder gibt. Der "Kapitalismus" ist ja eine Folgeerscheinung davon - vorher hat es ihn ja gar nicht gegeben. Und der "Sozialismus" war im am Ende auch nichts anderes - eine kleine Minderheit beutete die große Mehrheit aus, säckelte sich den Mehrwert ein und ließ sich ihre Herrschaft durch einen gigantischen Sicherheitsapparat absichern.
Vorweg: Das, was Bestand hat am Kapitalismus wird überleben. Andererseits: an seinen Widersprüchen wird er sich strangulieren. Eigentlich ganz einfach. Aber was hat Bestand, und was nicht? Bestand hat das, was den Menschen dient - genauer: seinen Bedürfnissen.
Und man muss sich darüber klar sein, dass wir alle in Personalunion gleichzeitig Produzenten und Konsumenten sind. Nach Marx müssten wir uns also täglich selber ausbeuten - eine ziemlich absurde Vorstellung!
Gescheitert ist die "Sozialismus" genannte Kapitalismusvariante, weil sie gegen elementare Belange der Menschen gearbeitet hat. Dazu kam noch ein total verqueres Wirtschaftskonzept, bei dem am Ende niemand mehr wusste, was eigentlich die "wahren" Kosten sind, weil alle Preise administrativ festgelegt wurden und nicht frei aushandelbar waren. Außerdem hatte man die Funktion des Geldes "kastriert" mit der Folge, dass die Leute auf Ersatzwährungen zurückgriffen, entweder Bezugscheine oder frei konvertierbare Auslandswährungen. Aber das ist Schnee von gestern.
"Elementare Belange" der Menschen sind ihre Bedürfnisse. Nach Ota Sik sollten sie die Grundlage allen Wirtschaftens sein - nur: niemand weiß darüber Bescheid; sie sind bisher kein Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.
Es fällt weiter auf, dass wir uns als "Produzenten" extra in "Firmen" organisiert haben, die ein respektables Eigenleben und eine gehörige Macht entwickeln können. Als Kosnumenten hingegen leben wir weiterhin in aller Unschuld als Einzelmenschen weiter - mit der Folge, dass im Laufe der Zeit eine gigantische soziale Schieflage entstanden ist.
Nochmal: für wen eigentlich wird die Wirtschaft "veranstaltet"? Natürlich für jeden von uns, aber nur als Konsument. Die Produzenten verkaufen sich ihre Endprodukte nicht an sich selbst, das wäre absurd.
Der Konsument aber fühlt sich durchaus zu Recht in seiner passiven Rolle von finsteren Mächten (den bösen Kapitalisten) umgeben, die ihm ständig ans Fell wollen: ihm wird von der Industrie/Werbung suggeriert: dies und jenes musst du kaufen, sonst bist du nicht in, wirst du nicht anerkannt! Und der schafige Konsument, dieser Konsumtrottel, kauft und kauft lauter Zeugs, welches er eigentlich gar nicht braucht...
Vater Staat greift außerdem noch in sein Portemonnaie, und holt sich seine Steuern, die Versicherungen ihre Beiträge - und, und, und... Das arme Schwein Konsument, der König Kunde, fühlt sich ständig verarscht und betrogen... (>Günter Ogger: "König Kunde - angeschmiert und abserviert")
Der Konsument könnte ja nun aufwachen und selber Firmen gründen, die den Produzenten sagen, was er eigentlich will - dann müssten die keine teure Marktforschung mehr betreiben, die Produkte würden bedarfsgerechter und billiger! Wenn eine Firma mit einer Firma verhandelt, ist das ganz was anderes, als wenn Lieschen Meier z. B. die Fa. Ford bewegen wollte, extra für sie ein pinkfarbenes Sondermodell zu bauen... :-)) Aber das ist ein langer Weg - dazu müsste er erst mal die Problematik wahrnehmen, und vor allen Dingen lernen, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und durchzusetzen...
Aber: so allgegenwärtig diese seltsame soziale Schieflage auch ist - niemand nimmt sie wahr, obwohl diese Situation schon an eine Art öffentliche Schizophrenie grenzt - wir sind als Konsumenten ja auch immer Produzenten in Persoalunion!
Zurück zum Thema: Wenn der Kapitalismus so weitermacht, hat er auf die Dauer keine Chance.
Es sei denn, folgende Probleme würden gelöst:
- Überwindung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit (wäre möglich durch neuartige Firmen, die auch jedem Firmenmitglied anteilig gehören)
- Beseitigung des Machtungleichgewichts zwischen Produzenten und Konsumenten
- Wissenschaftliche Erforschung menschlicher Bedürfnisse
- Generelle Umorientierung auf bedarfsgerechtes Handeln der Firmen (nicht mehr kapitalorientiertes) gegenüber Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern, Geldgebern (Aktionären etc.)
Sollten diese Hauptprobleme gelöst werden, würde eine bedarfsoriente Wirtschaft und Gesellschaft entstehen; die Bezeichnungen "Kapitalismus" oder "Sozialismus" wären hierfür aber nicht mehr angebracht.
Aber ich bin kein Prophet, und erstens kommt es anders, als zweitens man denkt; und "es irrt der Mensch, so lang er lebt"! Das gilt nicht nur für mich, sondern auch für die anfangs erwähnten ehrenwerten Herren Wirtschaftsprofessoren... :-))
Gruß Wello