Delta schrieb im Thema "Wenn man Rußland, oder der Ex-UdSSR auf die Füße tritt, so hat man ein Problem!" in Beitrag 1940 folgendes: "....Die Gewerkschaften legen Deutschland lahm und treiben die Kosten für das tägliche leben wieder
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Sind es wirklich die Gewerkschaften? Ich denke nein! Erstens, die Gewerkschaften handeln im Auftrag ihrer Mitglieder. Zweitens, es sind die Arbeitgeber , die für die Streiks verantwortlich sind. Ein Streik lässt sich ganz einfach abwenden. Nämlich dann, wenn Arbeitgeber ihre Angestellten fair und angemessen entlohnen oder zumindest bei Tarifverhandlungen ein verhandelbares Angebot vorlegen würden.
Nun bin ich als Angestellter im Öffentlichen Dienst selbst von Tarifverhandlungen und Streiks betroffen. Mittlerweile bin ich bald 3 Jahre beim Ordnungsamt. Ordnungsämter werden in der Regel lediglich mit der Überwachung des ruhenden Verkehrs assoziiert. Tatsächlich sind die Aufgaben viel umfassender. Als Grundregel kann man grob sagen, die Polizei ist für den fließenden Verkehr und die Kriminalität zuständig. Für alles andere im Bereich Ordnung und Sicherheit sind die Ordnungsämter verantwortlich. Wobei die Aufgabentrennung im täglichen Dienstbetrieb in der Regel sehr verschwommen ist. Z.B. Schwertransporte werden von uns geplant, rollt der einmal sind wir und die Polizei gemeinsam tätig. Eingriffe in den fließenden Verkehr nehmen wir im Rahmen der Amtshilfe wahr. Bei Großveranstaltungen sind meist wir federführend für die Sicherheitskonzepte zuständig, natürlich in enger Zusammenarbeit mit Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten, Marktamt, Veranstaltern, usw. Der ruhende Verkehr ist nur ein Teil unserer Arbeit. Deshalb sind die Aufgaben intern getrennt. Es gibt den Verkahrsaußendienst (VAD). Da kümmert man sich alles was den Verkehr betrifft. Dann gibt es den Ordnungsaußendienst (OAD). Dieser übernimmt alle anderen Aufgaben. Wobei auch hier die Grenzen fließend sind und man bei vielen Einsätzen gemeinsam tätig ist.
Nach verschiedenen Tätigkeiten beim OA bin ich nun seit letzten Sommer im VAD hauptsächlich als Ausbilder im praktischen Bereich tätig. Heißt, ich bin täglich mit den Neuen auf der Straße unterwegs. Und neue Mitarbeiter gibt es bei uns ständig. Die Fluktuation ist groß. In der Regel bewerben sich die Leute beim OA. Die Chance für eine Einstellung in den ÖD ist hier groß. Nach Beendigung der Probezeit bewirbt man sich dann intern auf einen Job im Stadthaus.
Am größten sind die Personalwechsel beim VAD. Im Prinzip bilden wir die Leute aus. Wenn sie dann soweit sind, allein auf der Straße ihren Job zu machen, gehen sie in ein anderes Amt. Woran liegt das? Zum einen an den Arbeitsbedingungen. Wir sind bei jedem Wetter auf der Straße. Egal ob 40 °C im Sommer, ob -10 °C im Winter, ob strömender Regen, unser Job findet nun mal auf der Straße statt. Wir sind 7 Tage die Woche, an 365 Tagen im Jahr im Einsatz. Egal ob Wochenende, Feiertag, Weihnachten oder was auch immer. Gearbeitet wird in Schichten. Regulär sind Dienste in der Zeit von 07.00 Uhr morgens bis 01.30 Uhr in der Nacht zu absolvieren. Aber auch Nachtdienste bis in den Morgen fallen oft an. Schwertransporte lassen wir in der Regel ab 22.00 Uhr starten, um den Verkehr so wenig wie möglich zu behindern. Bei Kampfmittelfunden gehts fast immer weit in die Nacht. Beim letzten war ich z.B. von 07.00 Uhr morgens bis 02.15 Uhr in der Nacht im Dienst. Also fast 20 Stunden. Bei Großveranstaltungen wie Karneval, Silvester, Rhein in Flammen, usw., gilt immer eine Urlaubssperre. Da sind alle im Einsatz. Die tägliche Dienstzeit übersteigt hier regelmäßig die 12-Stunden-Marke. Diese Dienstzeiten sind gerade für junge Leute sehr unattraktiv. Aber auch für den der Familie und damit Kinder hat, ist es oft nicht einfach Arbeitszeit und Privatverpflichtungen unter einen Hut zu bringen.
Der zweite Punkt ist die Vergütung. Beim OAD wird einigermaßen vernünftig bezahlt. Beim VAD haben die Kollegen und Kolleginnen lediglich die E4. Ich bin zum Glück in meiner Funktion einige Entgeltgruppen höher eingestuft. Trotzdem ist das nicht die Welt. Vorher in der freien Wirtschaft habe ich einiges mehr verdient. E4 - das sind 2.456,51 € brutto in der Erfahrungsstufe 1. Dazu kommen 40 € allgemeine Schichtzulage pro Monat plus Zuschläge für Sonn-und Feiertage, sowie ab 21.00 Uhr Nachtzschläge. Ohne diese Zuschläge sind das gerade mal rund 2.500 € brutto. Netto macht das bei Steuerklasse 1 gerade mal knappe 1.700 € aus. Wer kann davon in der Stadt leben? Bei Verheirateten sind es netto paar Euro mehr. Aber versucht mal bei diesem Gehalt eine Familie zu ernähren. Das geht nicht. Deshalb sind wir mit einer angemessenen Forderung in die Tarifverhandlungen gegangen. 10,5 % mehr Gehalt, mindestens jedoch 500 € mehr. Das Ganze bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Der Sockelbetrag von 500 € ist besonders wichtig, da gerade niedrige Entgeltgruppen endlich eine spürbare Gehaltserhöhung bekommen sollen. 500 € mehr würde für die Kollegen bedeuten, wenigstens bei 2.000 € netto anzukommen. Was im Prinzip immer noch nicht der große Reißer ist.
Jetzt das "Angebot" der Arbeitgeber. Vom 01.01.2023 - 30.09.2023 gibt es Null Erhöhung. Zum 01.10.2023 werden 3 % angeboten. Zum 01.06.2024 weitere 2 % Erhöhung. Das ganze bei einer Laufzeit von 27 Monaten. Rechnet man jetzt die ersten 9 Monate in 2023 dazu, wo es ja nichts gibt, beträgt die reale Laufzeit 36 Monate. 5 % in 3 Jahren. Das macht rund 1,66 % Erhöhung im Jahr aus. Dazu bietet man 2.500 € Inflationsausgleich in 2 Zahlungen an, einmal 1.500 € und einmal 1.000 €. Das erhöht die Gehälter jedoch nicht dauerhaft und die Arbeitgeber können das gern neben einer angemessenen Tariferhöhung zahlen. So wie es ja auch vorgesehen war und wie es in vielen Branchen der Privatwirtschaft auch praktiziert wird. Als Teil der Tarifverhandlungen können die sich das aber gern in die Haare schmieren.
Wir alle sehen die steigenden Preise in vielen Bereichen des täglichen Lebens. Die Inflationsrate hat sich bei 8 - 10 % eingependelt.Sollte die Inflation auf diesem Niveau bleiben, bedeutet das Angebot der Arbeitgeberseite einen Reallohnverlust von 15 - 20 % in den nächsten 3 Jahren. Das ist besonders für den Mittleren Dienst längst nicht mehr verkraftbar. Gerne wird argumentiert, ihr habt ja einen sicheren Job. Doch der sichere Job bezahlt keine Rechnungen. Steigende Mitpreise, Energie- und Lebensmittelkosten und alle sonstigen Preissteigerungen sind kaum noch bezahlbar für viele. Aus diesem Grund streiken wir! Auch wir Angestellten im ÖD haben ein Recht auf angemessene Vergütung. So wie jeder Arbeitnehmer in diesem Land. Wir haben kein Interesse daran, irgend etwas lahm zu legen. Genau so wenig wie die Gewerkschaft. Aber wir sind bereit, für unsere Rechte zu kämpfen. Gestern z.B. waren wir mit rund 10.000 Kollegen und Kolleginnen aus NRW in Gelsenkirchen zum Warnstreik. Gelsenkirchen deshalb, weil die Verhandlungsführerin des Verbands Kommunaler Arbeitgeber (VKA) die Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen ist. Diese Warnstreiks in den letzten Wochen in ganz Deutschland sind jedoch nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird, wenn die Arbeitgeber in der letzten Verhandlungsrunde nächste Woche, kein akzeptables Angebot vorlegen. Dann kommt es zur Urabstimmung. Da die Streikbereitschaft bei den Angestellten dieses mal extrem hoch ist, wird es beim Scheitern der Tarifverhandlungen wohl zum Streik kommen. Deshalb ist zu hoffen, die Arbeitgeberseite ist endlich bereit, ein vernünftiges Angebot vorzulegen und in konstruktive Verhandlungen zu gehen.
Es liegt allein an den Arbeitgebern, einen Streik zu verhindern. Wollen diese jedoch den Arbeitskampf, dann kriegen sie ihn auch. Leidtragende werden viele Menschen in diesem Land sein, wenn plötzlich keine Dienstleistungen der Öffentlichen Hand mehr zur Verfügung stehen. Beschwerden sind bitte an die Entscheidungsträger der Arbeitgeber zu richten.
Viele Grüße,
micha