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RE: Guter Westen - böser Osten

#91 von Wolf , 13.11.2006 13:54

In Antwort auf:
Thor-am-Felsen: Außerdem gibt es nunmehr weder ein Proletariat, das unterdrückt wird, noch eine Bourgeoisie, die unterdrückt.
Lottoprinzip. Warum sollen die Menschern nun vom Staat ernährt werden, wenn sie wieder für sich selber aufkommen können?

Ich denke, es geht hier gar nicht so sehr um das Unterdrücken, sondern um das Ausgrenzen.
Die Nachfrage aller Märkte kann heute durch die Arbeit von zwei Dritteln der Arbeitsfähigen gedeckt werden.
Die Effizienz und damit der Profit steigt, wenn man die Auswahl eben nicht dem Lottoprinzip überlässt, sondern nur die Leistungsfähigsten an der Wertschöpfung beteiligt.
In den meisten Branchen und Tätigkeitsfeldern findet eine solche Selektion statt!
Wenn wir also ehrlich sind – als Nichtpolitiker dürfen wir das ja – will heutzutage niemand mehr die Vollbeschäftigung! Denn die würde das Gesamtsystem Wirtschaft inakzeptabel belasten!
Abgesehen von ein paar temporären konjunkturbedingten Zugewinnen wird sich die Zahl der Arbeitsplätze nicht mehr erhöhen. Für jeden Arbeitslosen, der heute einen Job findet, fliegt irgendwo in Deutschland oder in Europa oder auf der Welt einer raus. Oder zwei.
Die „ausgemergelten Nichtsnutze“, wie Du sie so schön nennst, sind also – völlig wertfrei und rein wirtschaftsmathematisch gesehen – tatsächlich Nichtsnutze!
Eine humanistische (keine sozialistische!) Gesellschaft hat aber bei der Würdigung menschlicher Bedürfnisse andere Kriterien als wirtschaftsmathematische anzulegen!
In einer humanistischen Gesellschaft haben auch jene, die aus vernünftigen Gründen von der Wertschöpfung ausgeschlossen bleiben sollen eine Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben!
Durch ihren Verzicht auf ein Einkommen durch Arbeit leisten sie einen erheblichen Beitrag zur Einkommenshöhe der Leistungsfähigen!
In Antwort auf:
Kurzum, die Klassen haben sich vermischt; Reiche wie Arme kaufen bei Aldi ein

Das ist so, als würdest Du sagen: Heute kann sich jeder Reiche einen VW Polo leisten!
Natürlich kaufen auch Reiche bei ALDI, weil er die eine oder andere gute Ware hat. Aber zeig mir den Armen, der seine Wurst bei Schlemmermeyer, seine Schokolade bei Hussel, oder seine Polohemden bei Peek und Cloppenburg holt. Und das sind nun wirklich noch keine ausgesprochenen Luxus-Läden.
In Antwort auf:
Arme können reich werden und Reiche können sehr schnell arm werden

Das stimmt nur bedingt.
Arme können reich werden, wenn sie unvorhersehbares Glück haben, eine besondere Begabung bei sich entdecken, zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, oder Ähnliches.
Es hat aber keiner einen Anspruch auf eine Chance.
Reiche hingegen haben die unbestreitbare Chance, auf Lebenszeit privilegiert zu bleiben, wenn sie sich nur an gewisse Vorsichts- und Vorsorgeregeln halten.
In Antwort auf:
In den USA klappt das ganz gut.

Also über die Problematik der „Working poor“ mit 80 Wochenstunden in 4 Minijobs brauchen wir wohl nicht zu diskutieren. Was in den USA „gut klappt“, ist wohl vor allem die Demut der Betroffenen und der historisch gewachsene Glaube, dass jeder seines Glückes Schmied und das Schicksal unausweichlich ist.
In Antwort auf:
Dahin gehen wir nun. Der Terminus „Sozial“ wird immer weiter eliminiert, bis wir hier eine reine Marktwirtschaft haben, die man auch als „Asoziale Marktwirtschaft“ bezeichnen kann.

Ja, dahin gehen wir. Weil die Leistungsfähigen sich zwar gern zum Humanismus bekennen, ihn aber nicht bezahlen wollen.
In Antwort auf:
Erst dann wird die Wirtschaft wieder brummen.

Wenn das Brummen der Wirtschaft der Maßstab ist, an dem Du alles andere misst, wirst Du zweifellos einen erheblichen Lustgewinn erlangen. Schön für Dich.
In Antwort auf:
Dann kann man auch die ausgemergelten Nichtsnutze, die auf der Straße liegen, beschäftigen und die hoffentlich rechtzeitig, bis die natürliche Selektion greift, gelernt haben, dass man zum Essen einkaufen Geld benötigt und man sich dieses Geld erarbeiten muss.

Danke für diesen Schlusssatz! Da wissen wir doch endlich alle Bescheid!


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RE: Guter Westen - böser Osten

#92 von Ossi-Schatz ( gelöscht ) , 13.11.2006 16:11

Hallo Miteinander,

das Streitobjekt „Westen & Osten“ hier im Forum erhitzt so manche Gemüter, u.a. eben auch meines.
Ist es Sinn und Zweck der Diskussion, die Vorteile und Nachteile beider Systeme abzuwägen, sich daran aufzureiben um letztendlich frustriert oder beleidigt über die Meinung des anderen zu sein?
Wir wollten und wollen doch in diesem Forum, so habe ich es jedenfalls aufgefasst, dass Ost und West zusammenfindet, dass der „Ossi“ und der „Wessi“ die Lebensgewohnheiten des jeweils anderen versteht, die Lebenserfahrungen des anderen respektiert und akzeptiert.
Es ist m.E. mühselig herauszufinden, warum die Idee von einer besseren Welt so kläglich scheiterte, ebenso ist es mühselig herauszufinden, worin die Vorzüge und Nachteile einer Marktwirtschaft, einer Sozialen Marktwirtschaft oder einer Liberalen Marktwirtschaft oder welcher auch immer liegen.
Die Mehrheit der Menschen, in welchem System ist eigentlich egal, finden Nischen, richten sich darin ein, machen es sich auch bequem, passen sich an, schwimmen mit dem Strom, erliegen politischen und wirtschaftlichen Parolen (oder Wahlversprechen?) und laufen den Initiatoren dieser Parolen hinterher. Das war und ist im Osten genauso wie im Westen.
Die Betrachtung der Vergangenheit kann immer nur subjektiv sein. Eine Objektivität bei der Betrachtung der eigenen Geschichte zu wahren kommt einer Fehlanzeige gleich. Persönliche Erlebnisse und Erfahrungen, Emotionen, physische und psychische Belastungen, persönliche Schicksale, Kindheitserlebnisse und andere auch äußere Einflüsse vermischen sich mit der Zeit mit den gesellschaftlichen Ereignissen, werden auf diese projiziert und erhalten eben dann diesen subjektiven Charakter. Deshalb haben wir Ossis ja auch so unterschiedliche Erlebnisse zu bestimmten Ereignissen, was der Eine als gut und toll empfand, kann für den Anderen Gängelei gewesen sein. Aber das ist kein Phänomen der Himmelsrichtung, unser mittlerweile 6-jähriges Dasein in BW zeigt uns das gleiche Bild.
Ich als Ossi kann aufgrund des Erlebens zweier Systeme von praktischen Erfahrungen in beiden Systemen sprechen, aber eben mehr auch nicht, ich will und kann mir nicht das Recht herausnehmen, zu beurteilen, welches System das wahre System, das gerechtere System ist. Der Sozialismus wurde von den Sozialisten selbst verunglimpft, die Demokratie wird von den Parteidemokraten der heutigen Zeit zur Hure verdammt.
Ich denke gern an meine Kindheit und Jugendzeit zurück, möchte niemals missen, was ich in der DDR erlebt habe, aber zurück zur alten DDR möchte und will ich nimmer.
Was ich auch nicht will? Amerikanische Verhältnisse, wie sie unser Thor hier anpreist. Ich verzichte gern auf die Erfahrung des Mehrjobtages, um das Essen für die Familie zu verdienen. Ich möchte nicht den Wortschatz von „ausgemergelten Nichtsnutz“ gebrauchen, das ist Menschenverachtend, ein „Nichtnutz“ wird nicht geboren, gesellschaftliche Verhältnisse verdammen diese Menschen dazu. Ich verzichte gern auf die Erfahrung, meine Kinder in Gewalt von schießwütigen Teenagern zu wissen, die aufgrund „liberaler Waffengesetze“ über Waffen verfügen und diese auch noch gebrauchen. Ich verzichte gern auf die Erfahrung des Lebens in der Bronx von New York, ich verzichte gern auf die Erfahrung von Rassenhass, ich verzichte gern auf die Erfahrung der Ignoranz eines umweltbewussten Lebens, ich verzichte gern auf ein amerikanisches Fernsehen, dass im 10-minütigen Abstand mit Werbeblocks die Menschen verdummt. Ich verzichte gern auf die Erfahrung einer Nation anzugehören, die den Krieg gutheißt, ich verzichte gern auf die Erfahrung, nicht zu wissen, dass im Nachkriegseuropa eine zeitlang zwei deutschen Staaten existierten. Kurzum, ich verzichte auf die USA.

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RE: Guter Westen - böser Osten

#93 von Buhli , 13.11.2006 16:28

Thor, unsere "Anfangsdiskusion" mit samt den Missverständnissen, war doch ne richtig gute Steilvorlage um dieses Thema zu beginnen
Klar, bekotzen sollten wir uns nicht.
Buhli


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RE: Guter Westen - böser Osten

#94 von Ossi-Schatz ( gelöscht ) , 13.11.2006 16:49

Hi Buhli,

willst Du intellektuelles Gesülze oder ernsthaft mit uns über Themen reden bzw. schreiben?
"Steilvorlage" als Wortwahl für ein Thema, dass uns viel zu Ernst sein sollte, finde ich nicht gelungen. Wenn es Dein Ziel sein sollte, Dein Intellekt zur Schau zu stellen, Glückwunsch, aber imponieren wirst Du hoffentlich nur Wenigen!


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RE: Guter Westen - böser Osten

#95 von Buhli , 13.11.2006 17:57

Ne, so toll wird mein Intellekt nun auch wieder nicht sein. Es ist nur zu diesem Thema endlich was intellektuelles geäußert worden. Oder nicht? (Ni von mir) Vorher war dieses Thema doch kein ernsthaftes. War es überhaupt eins?
Buhli


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RE: Guter Westen - böser Osten

#96 von joesachse , 13.11.2006 20:56

Um mal wieder aufs Thema zurückzukommen: Meiner Meinung nach wurde die Rolle der Menschen hier in den letzen Beiträgen überschätzt, unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung funktioniert nach objektiven Gesetzen. Nicht nur nach den schon von Marx entdeckten, es gibt ja sogar jedes Jahr einen Nobelpreis für die Ergebnisse bei der Erforschung dieser Gesetze.
Privateigentum bildet die Grundlage der Gesellschaft. In der Marktwirtschaft als Unternehmer überleben heißt nicht, besser sein zu wollen als der Konkurrent sondern besser sein zu müssen.
Es gibt den Staat, der Regeln überwacht und auch aufstellt, um ein Funktionieren dieser Gesellschaft überhaupt einigermaßen sicher zu stellen, wenn sich auch nationale Staaten gegen internationale Konzerne damit schwer tun.

@Thor: Natürlich gibt es noch den Unterschied zwischen Bourgeoisie und Proletariat, auch wenn die Bezeichnungen vielleicht nicht mehr zeitgemäß oder korrekt sind: Die Bourgeoisie existiert auf der Grundlage ihres Eigentums, genauer gesagt, ihres Eigentums an Produktionsmitteln. Das Proletariat ist gezwungen, seine Arbeitskrakt zu verkaufen.

Natürlich sind die Grenzen fließend, ich bin mit meinen Aktien und Fondsanteilen auch ein bissel ein Kapitalist, aber an den Grundlagen dieser Einteilung hat sich nichts geändert.

JoeSachse


 
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RE: Guter Westen - böser Osten

#97 von Wolf , 14.11.2006 07:34

@JoeSachse: („Meiner Meinung nach wurde die Rolle der Menschen hier in den letzen Beiträgen überschätzt“)

Als ich diesen Satz gelesen habe, wollte ich eigentlich spontan widersprechen.
Denn ich hänge immer noch ein wenig an der antiquierten Behauptung: Die Wirtschaft dient ja nichts anderem als dem Menschen. Aber vielleicht ist das ja tatsächlich ein sozialromantischer Irrglaube. Vielleicht sollte man sagen: Die Wirtschaft dient den Gewinnern. Ohne effiziente Wirtschaft gibt es nur Verlierer. Also wäre das Resultat selbst dann, wenn es nur 1% Gewinner gäbe, positiv zu bewerten.
Pfui! Das ist ja primitivster Sozialdarwinismus! ... Aber vielleicht ist das ja wirklich das universelle Gesetz? Du siehst mich einigermaßen ratlos.

Fest steht: Wäre sich eine Mehrheit aller Menschen weltweit darüber einig, dass der Humanismus ein schützenswertes Gut ist, dann wäre es kein Problem, funktionstüchtige Wettbewerbsbeschränkungen durchzusetzen, die soziale Gerechtigkeit ermöglichen.
Aber ist ein solcher Grundkonsens überhaupt erreichbar?

Bis vor wenigen Jahren war ich überzeugt, dass dieser Grundkonsens zwar nicht weltweit, aber doch immerhin national oder innerhalb eines relativ abgeschlossenen Kulturkreises möglich wäre.
Aber das Modell autonomer Wirtschaftsräume mit streng reglementierter Interaktion ist ja auch längst abgehakt.

Nichts geht mehr. Scheiße! Wir (die verträumten Humanisten) waren so dicht dran – haben wir gedacht...


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RE: Guter Westen - böser Osten

#98 von Thor-am-Felsen , 16.11.2006 13:35

Man kann [...] feststellen, daß
das Volk der Dichter und Denker zwar eine ganze Zahl
großer Erfindungen hervorgebracht hat (Verbrennungsmotor,
Eisen- und Stahlverarbeitung, Flugzeug, Raumfahrt),
aber nicht nur bei der Verwertung dieser Erfindungen
meist gescheitert ist (das Geschäft mit all diesen
Dingen machen oft andere Nationen), sondern auch kaum
für Dienstleistungsideen bekannt ist: der Geldautomat,
das Internet, McDonalds, der Einpacker an der Kasse oder
der professionelle Einparker sind durch die Bank
amerikanische Erfindungen.


 
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RE: Guter Westen - böser Osten

#99 von Thor-am-Felsen , 21.11.2006 08:30

Hallo Ossi-Schatz,

mir liegt es am Herzen, nocheinmal auf dieses Thema einzugehen.

Zitat von Ossi-Schatz
Ist es Sinn und Zweck der Diskussion, die Vorteile und Nachteile beider Systeme abzuwägen, sich daran aufzureiben um letztendlich frustriert oder beleidigt über die Meinung des anderen zu sein?
Wir wollten und wollen doch in diesem Forum, so habe ich es jedenfalls aufgefasst, dass Ost und West zusammenfindet, dass der „Ossi“ und der „Wessi“ die Lebensgewohnheiten des jeweils anderen versteht, die Lebenserfahrungen des anderen respektiert und akzeptiert.


ich bin einfach nur neugierig. Aus diesem Grund frage ich viel. Ich bin neugierig, wie man in der DDR gelebt hat. Im Westfernsehen habe ich Berichte über das Lebn in der DDR gesehen. Auch im Ostfernsehen habe ich diesebezüglich Berichte gesehen. Aber was ist nun wahr? Das Fernsehen kann duch selektive Berichterstattung die Meinung der Zuschauer beeinflussen und oftmals ein verzerrtes Bild über die tatsächlichen Begebenheiten schaffen. Ist nun das, was im Westen über die DDR gesendet wurde, wahr, oder ist das, was im Osten gesendet wurde, wahr? Ich weiß es nicht; das Westfernsehen, also das gesamtdeutsche Fernsehen sagt freilich, die westliche Darstellung ist wahr (den DFF gibt es nicht mehr und somit kann da niemand mehr etwas sagen). Daher habe ich als Wessi natülich die Anschauung, die DDR war schlimm und die BRD war gut. Aber stimmt das?

Liebe Grüße
Torsten


 
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RE: Guter Westen - böser Osten

#100 von Iris , 21.11.2006 09:11

Hallo Thor,

bin zwar nicht der Ossi-Schatz, liebe Grüße an Dich, Dieter, aber vielleicht kann ich ein wenig Neugier stillen:

Also, wie es Dieter schon sagte, ist auch jede Aussage von uns irgendwo subjektiv, denn jeder kann nur über seine eigenen Erlebnisse berichten.

Ich hoffe, dass Einige so denken, aber ich fand meine Kindheit und Jugend in den jeweiligen Organisationen (Pioniere + FDJ), aber auch im privaten Bereich sehr schön.

Als ich noch klein war, sind wir immer im Urlaub quer durch die DDR gefahren, als ich größer wurde, war es das heutige Tschechien. Ich war immer im Ferienlager, später in den FDJ-Lagern, die wurden ganz ähnlich gehalten, nur das wir halt schon etwas älter waren. Und ich möchte keinen von diesen Tagen missen!!!!

Schulisch hat mir nichts gefehlt, unsere Bildung wird heute noch oft als die umfassendere bezeichnet, für die Kleinen gab es etwas ähnliches, wie heute die Ganztagsschulen, das war aber normal.

Wirklich gefehlt hat mir eigentlich nichts, klar, da kam 2 x im Jahr ein Westpaket und manchmal war sogar 'ne Jeans drin, und Ananas war etwas Besonderes, aber vielleicht war es gerade das: Es gab noch Dinge, die etwas Besonderes waren! Und im Allgemeinen ist es doch so, Du kannst nicht etwas vermissen, was Du nicht kennst.

Tja, und zur Reisefreiheit? Ich war bis heute noch nicht in Spanien/Italien/Griechenland usw. Meine persönlichen Belange haben es bisher nicht zugelassen. Nur heute, da WILL ich auch mal dorthin! Früher hab ich mir halt keine Gedanken darüber gemacht.

Also, lieber Thorsten, frag nur weiter, wir werden Dich schon aufklären, jeder nach seiner eigenen Meinung.

Liebe Grüße
Iris


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RE: Guter Westen - böser Osten

#101 von Ossi-Schatz ( gelöscht ) , 21.11.2006 22:09

Hallo Thor,

die Frage nach der Wahrheit ist eine Frage, über die sich schon die Philosophen der Antike gestritten haben. Einen Anspruch auf Wahrheit zu erheben, ist m.E. zum Scheitern verdammt, weil es DIE WAHRHEIT nicht gibt. Die Berichterstattungen in Ost und West waren ideologisch geprägt, waren unfrei, frei von der Wahrheit. Auch wenn gesellschaftliche Ereignisse den Anstoß zur Berichterstattung gaben, so verfasste doch stets aber ein Journalist oder ein Politiker oder ein Ökonom oder wer auch immer einen Artikel, einen Bericht oder gab einen Standpunkt ab. Schon allein dieser Fakt, der Fakt der Personifizierung eines Ereignisses in Form der Berichterstattung ließ die Schilderung oder eben die Berichterstattung selbst, subjektiv erscheinen.

"Man muss es erlebt haben, um sich ein Urteil zu erlauben" ist heute bei der Beurteilung der Geschichte des Ostens oder der DDR die weit verbreitetste Meinung. Da ist etwas Wahres dran, es ist aber eben nicht wahr, weil wie schon zuvor von mir dargestellt, die Reflexion und die Wiedergabe des Erlebten subjektiv sind, soll heißen, jeder interpretiert seine Erfahrungen, seine Erlebnisse innerhalb eines Kulturkreises oder einer Gesellschaft anders. Der Mensch ist zwar gesellschaftlich determiniert, (Grundfrage der Philosophie: Das Sein bestimmt das Bewusstsein, so bestimmt das gesellschaftliche Sein auch das gesellschaftliche Bewusstsein) aber jeder lebt und erlebt sein Leben anders. Deshalb ist es ja so schwer, für alle entsprechend befriedigende Antworten zu finden.

Ich kann nur meine Erlebnisse und meine Erfahrungen wiedergeben, die zwar ähnlich der z.B. von Iris sein können, aber das heißt doch nicht, dass dies nun als das Gute oder als das Schlechte in der DDR zu bewerten ist.

Ich erinnere mich an eine Bild-Propaganda in den 80er Jahren. Da tauchte ein Bild auf, auf dem waren Kinder in einer Kindertagesstätte mit gestreiften Bademänteln abgelichtet. Angeblich hat die Bild-Zeitung aus diesem Foto eine Story über ein angebliches Kindergefängnis in Ostdeutschland gemacht. Wir DDRler waren empört über diesen Akt der Lüge. Heute weiß ich nicht, wer der Wahrheit näher kam, aber eines weiß ich, ich habe in der DDR eine glückliche Kindheit gehabt. Ich habe Fußball gespielt, habe Handball gespielt, habe mit 15 meine erste Zigarette geraucht, habe Lehrer an der Schule geliebt und gehasst, bin schwarz in der Straßenbahn gefahren, habe den Kitzel des hoffentlich nicht Erwischens genossen, habe den Polizisten einen Vogel gezeigt, habe sicher den Eltern nicht nur Freude bereitet, habe eine Lehrausbildung genossen und wurde vom Betrieb anschließend als Facharbeiter übernommen, war in der Schule FDJ-Sekretär und trotzdem kritisch, war in Ferielagern, habe Freunde gehabt, war in Jugendtanzveranstaltungen (heute auch Disco), auf Konzerten von Rockbands, war nachts mit Freunden und Freundinnen nackt baden, habe in Konflikt mit manchen Meinungen meiner Eltern gelebt, die Erlebnisse und Erfahrungen ließen sich fortführen. Es bleibt die Frage: Was war in deiner Kindheit und Jugendzeit so anders? Wenn ich die Erlebnisse und bisherigen Lebenserfahrungen unserer Jungs (13 und 15) näher betrachte, so sind diese den Meinigen sehr ähnlich, es gibt eigentlich nur eine grundsätzlich neue Lebenserfahrung, das Leben mit Computern.

Später habe ich, wie im vorherigen Beitrag schon erwähnt, mich in der DDR eingerichtet, habe nicht schlecht gelebt, habe auf dem Bau ordentlich Geld verdient, war mit dem Jugendreisebüro der DDR "Jugendtourist" in Rumänien, Bulgarien, Tschechien, in der heutigen Ukraine, in Baschkirien, in Georgien am Schwarzen Meer und im Kaukasus, habe bei der NVA meinen Wehrdienst absolviert, war das erste mal verheiratet und wurde auch geschieden, lernte bei der Apfelernte meine große Liebe und heutige Frau Ira kennen, musste aber lange auf eigenen Wohnraum warten, hatte nicht jeden Tag Orangen, Bananen, Kiwis oder sonstige Südfrüchte, konnte mir nicht einen Farbfernseher und Videorecorder leisten, hatte auch keine 5-Komponenten Stereo-HiFi-Anlage, konnte nicht nach Paris, die Stadt der Liebe fliegen, hatte viele Fragen zum täglichen Erscheinungsbild DDR, war unzufrieden mit der Arbeit der örtlichen Organe (Verwaltungsapparat in Stadt und Land), war unzufrieden mit der Ersatzteilproblematik, zweifelte an den Berichterstattungen zur Planerfüllung in den Betrieben und LPGs und trotzdem war ich irgendwie glücklich in MEINER Welt. Aber diese meine Welt war nicht die Welt von allen anderen. Jeder hatte andere Erlebnisse. Verstehst Du was ich meine? Demzufolge kann ich Dir und Euch aus "Wessiland" nicht sagen, was die Wahrheit ist, was gut und böse war und ist.

Herzliche und liebe Grüße

Dieter
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RE: Guter Westen - böser Osten

#102 von Buhli , 21.11.2006 22:50

Ja Iris, der Thor ist einer von wenigen die aus Neugier, und wie es mir scheint, mit wenigen Vorbehalten seine Fragen stellt. Er ist sicher auch einer derjenigen, die sich nach 1990, die gesehenen und gehörten Sendungen von Ost- und Westmedien vor 1990, nochmal durch den Kopf gehen lassen haben.
Das mit dem Bildungssystem ist nicht mehr ganz so neu. Die Lehrer, die vor 1990 in der DDR zu Besuch waren haben es damals schon festgestellt. Jetzt schaut man sich doch nach dem Finnischen um. Ach und im französischen hat man auch noch gutes entdeckt.
Die Finnen haben in den 80ern das der DDR zu 100% übernommen und die Franzosen nur teilweise. Welche Ironie der Geschichte... Schülerkonzerte, Jugendstunden usw. haben uns mit Kultur in Verbindung gebracht. Wenn uns damals jemand gefragt hätte ob wir wollen, wäre garantiert ein nein gekommen. So gehörte es zum Bildungsystem und damit konnte man sich dem nicht entziehen. Welchen politischen Hintergrund das hatte? Hat eh niemanden interssiert. Die Kindergärten hatten bei uns noch die Bedeutung des Wortes. Es wurde nicht noch ein zweites bürokratisches Monster Namens KITA erfunden. Wozu auch? Die Kinder konnten, wenn ich mich noch recht erinnere, bis 18.00 abgeholt werden. Nur die Zeit des Mittagschlafs war heilig.(So ein Mist aber auch) Entweder das Kind wurde vorher oder hinterher abgeholt. Find ich immer noch gut.
Ja Ferienlager, das war was tolles. Dise Ansicht teilt garantiert nicht jeder. Warum eigentlich nicht? Der Apell jeden Morgen hat zwar jeden genervt, aber der Rest der jeweiligen Tage war, im Nachhinein betrachtet, unvergesslich. Mal waren wir nur unter uns deutschen, mal waren Tschechen und Polen mit da. Hier nennt man sowas wohl "Pfadfinder". Nur eben nicht so, daß sich die Kinder in den Ferien zu einem moderaten Preis, für 14 Tage unter Kontrolle von Erwachsenen austoben konnten, und so manche Ferienliebe hinter sich bringen mußten. Die Ferinspiele während der Ferien in der Schule waren auch Klasse. Baden, Wandern, Kino usw.. Die Eltern konnten in Ruhe zur Arbeitgehen. War ja auch das Ziel.
Thor, ich vermisse hier auch die Ostdeutsche Medienwelt. Gut ich kann jetzt MDR u.RBB sehen, wenn ich mal was "Mit Hintergrund" sehen will. Damals wurde uns die Westpresse "vorenthalten". Heute bekomme ich im Muschterländle keine JUNGE WELT oder ND. Es ist immer noch schwer sich ein ordentliches deutsches Gesamtbild machen zu können. Ich möchte einfach nur die Möglichkeit haben.
Das Thema Reisefreiheit liegt bei mir ähnlich wie bei Iris. Ich hab zwar schon New York (Noch mit den Zwillingstürmen), Toronto und die Niagarafälle, Paris, Rom und London gesehen, aber am liebsten fahr ich zum campen in die CZ oder H. Dort ist alles noch etwas urwüchsig und nicht so steril wie hier und in Frankreich. Am Stellplatz ein Feuerchen machen ist so was herrliches. Nachdem ich etwas mehr gesehen habe, als "nur" den Ostblock muß ich feststellen, daß es nicht so schlimm war die anderen nicht gesehen zu haben. Klar, Reisen bildet. Das haben sich garantiert die gewünscht, die irgendwo in der Welt studieren wollten, oder die, die das Wanderhandwerk erleben wollten. Ab und zu seh ich Wandergesellen.
Das erste mal wurde mir 1981 dieses "Mauer"werk bewußt, als ich mich in B verfahren habe. Anstatt rechts abzubiegen, bog ich links ab und landete plözlich vor dem Ding. War schon ein komisches Gefühl. Danach noch, als ich nach Potsdam fuhr und an der Autobahnausfahrt "Letzte Ausfahrmöglichkeit für DDR-Bürger" lesen "konnte". Und das dritte mal auf der A9, als ich lesen mußte "Rastplatz nur für Transitreisende". Da hab ich trotzdem gehalten um das dortige Toilettenhäuschen zu besuchen. Schon um zu provozieren. (Das kennt Ihr ja bereits von mir.)Das gelang mir auch damals schon. Die Person in Zivil hätte mich auch gern davon abgehalten. Nur hat er wahrscheinlich gesehen, daß ich wirklich mal ins Häuschen mußte. Ich fragte ihn nur, ob er sich nicht schämen würde, beim Ausgrenzen seiner Landsleute im eigenen Land, behilflich zu sein. Nachwirkungen hatte das für mich keine.
Wir gehörten auch zu den privilegierten. Ja ich oute mich. Wir hatten Westverwandschaft. Die waren auch seit mitte der 70er regelmäßig bei uns. Meine Eltern haben die Schokolade und den Kaffee auch eingeteilt. Na ja, das machen die Wessis jetzt mit den Produkten aus unserer Heimat. Das mit den Geschenken ging jedoch ausgleichend. Wir mußten Gummistiefel und Regenumhänge für die Kinder hinschicken. Die gab es angeblich nicht. In Wuppertal und Nürnberg. Da wurde mir auch schon klar, daß nicht alles goldig war. Der Schulstoff hat ja noch einiges dazu gegeben.
Iris, wie Du sagst. So richtig gefehlt hat uns nischt. Das Thema Sorgenwegschieben hatte ich schon im "Bösen Osten".
Nur wer die DDR an STaSI, Mangelwirtschaft und Menschenrechtsverletzung fest macht, begeht genau so eine Geschichtsverklährung, wie der, der sie verschweigt.
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RE: Guter Westen - böser Osten

#103 von lutzi , 22.11.2006 10:33

bravo für die letzten beiden meinungen,
noch ein kurzer einwurf, ND,junge welt, LVZ und andere ostzeitungen gibt es z.bsp im allen grösseren zeitungsläden auf den bahnhöfen(stuttgart,mannheim,nürnberg-weiss ichs genau)-viel spass beim lesen

lg. vom lutzi


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RE: Guter Westen - böser Osten

#104 von Karli ( Gast ) , 22.11.2006 13:33

Es ist wirklich so :
Gerade weil es nicht alles immer gab , konnte man sich noch über
etwas freuen . Heute ist man so satt , daß es schon wehtut.
Wenn man sich seiner Grenzen bewußt war , konnte man in der DDr gut leben,
und auch ohne Abi oder so einen ordentlichen Beruf nachgehen.
Im Lehrlingwohnheim in Berlin sahen wir jeden Tag vom Fenster aus die Mauer,
die war eben da und fertig .Mit dem Fernglas konnten wir sogar Autokino gucken,
klar kam da auch mal ein "" ..würde ich auch gern mal hin " , ging eben nicht.
Dafür hatte man auch von so manchen Dingen keine Ahnung , mit denen man sich jetzt
rumärgern muß .

Karli


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RE: Guter Westen - böser Osten

#105 von Wolf , 22.11.2006 15:57

Na gut, die DDR war ein Kinderparadies und ein Paradies für anspruchslose Mitläufer.
Ich meine das überhaupt nicht abwertend. Wenn ich mich selbst einsortieren müsste, würde ich mich wohl auch eher als anspruchslosen Mitläufer bezeichnen. Jedenfalls jetzt. Früher hatte ich noch ein wenig mehr Ehrgeiz und unerfüllte Träume.
Hin und wieder, wenn ich mich über unsere rundum kommerzialisierte Zeit ärgere, denke ich manchmal, ich könnte durchaus gut mit dem bescheidenen Wohlstand leben, den man in der DDR damals hatte.
Aber wenn ich mir dann die vielen Widrigkeiten ins Gedächtnis rufe, die mich damals zur Weißglut gebracht haben, wird mir erst wieder richtig bewusst, wie wenig es zu verteidigen gibt!
Wisst Ihr noch, wie Leipzig 1989 aussah? Da bestanden ganze Viertel quasi nur noch aus Ruinen! In viele Wohnungen, in denen ganz normale Familien wohnten, würde man heute nicht mal mehr Asylbewerber einquartieren.
Die Luft, die wir geatmet haben, kennen heute nur noch Abenteuer-Touristen, die mal in Shanghai oder Kalkutta waren.
Das Wasser, das aus der Leitung kam, war meistens bräunlich und konnte nur inn abgekochtem Zustand verwendet werden.
Wer allergisch gegen Äpfel war, konnte seinen Vitamin-C-Bedarf nur in der Apotheke decken.
Außerhalb der Großstädte gab es im Sommer einmal wöchentlich Erfrischungsgetränke.
So lange der Vorrat reicht...
Beim Metzger sah es schon am Donnerstagnachmittag aus, wie in einem Fliesengeschäft.
In der Kantine gab es wechselweise jeden zweiten Tag glasige oder matschige Kartoffeln, die man heute ins Schweinefutter mischen würde.
An der Ausflugsgaststätte hing ein Schild „Aus technischen Gründen geschlossen“.
Das hieß entweder so viel wie Einsturzgefahr oder Schimmel oder Kakerlaken in der Küche oder Toiletten defekt oder Wirt verstorben...
Beim Zahnarzt saßen 20 Patienten im Wartezimmer und man fragte, wer der letzte war.
Die Neu-Anfertigung einer verlorenen Kontaktlinse dauerte 230 (in Worten: zweihundertdreißig) Tage.
Oh, ja. So toll war das!
Ich will jetzt gar nicht über Belanglosigkeiten wie marode Straßen und Schienen sprechen.
Im Prinzip ist es mir doch egal, ob der D-Zug von Leipizg nach Dresden eine Stunde braucht oder zwei. Und ich will auch nicht über zugeteilte Primitiv-Unterkünfte vom Reisebüro oder vom FDGB sprechen. Heute können sich viele überhaupt keinen Urlaub leisten.
Aber das, worunter alle wirklich leiden mussten, war schlimm genug!
Und wenn man dann noch die vielen Kleinigkeiten dazu nimmt, müsste auch dem Letzten klar werden, dass man diesen Staat keine Träne nachweinen sollte!

Habt Ihr Euch mal überlegt, warum die Regierung der DDR jedes Jahr viele Millionen Mark aufgewendet hat, um Menschen, die das Land verlassen wollten, zuverlässig und flächendeckend mit dem Tod zu bedrohen?


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