In Antwort auf:
Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens
Das entscheidende Problem ist meines Erachtens, dass diese Beschreibung nicht nur das anonyme, abstrakte, verteufelungstaugliche „Kapital“ charakterisiert, sondern dass sie das Wesen des realen Menschen kennzeichnet.
Nicht alle Menschen sind so. Aber viele. Und leider vor allem die, auf die es ankommt: Die Leistungsfähigen!
Man kann sicher Gesellschaftsmodelle mit einem hohen Maß an sozialer Gerechtigkeit entwickeln. Wenn man genügend Zeit und die Möglichkeit der Realisierung hat und genügend Energie hinein steckt, dann funktionieren sie auch eine Weile. Das ist wie mit den „Labilen Gleichgewichten“ in der Physik oder der Chemie. Hält man die Bedingungen punktgenau stabil, dann hält auch das Gleichgewicht. Die kleinste Störung führt jedoch unweigerlich zum Kollaps.
Die Soziale Marktwirtschaft war so eine synthetische Ordnung, die auf den Grundlagen Massenwohlstand und Massenethik basierte.
Die Bedingungen waren folglich: Überfluss und flächendeckende Bildung.
Aber sie konnte nicht stabilisiert werden, weil sie nicht dem urtypischen Wesen des Menschen entsprach.
In dem Moment, wo der Überfluss schwand, verschwand auch die Akzeptanz der Solidarität mit den Schwachen.
Und in dem Moment, wo die Homogenität der nachwachsenden Generation schwand, verschwand auch die Möglichkeit der Erhaltung eines tragfähigen ethischen Konsenses, einer „nationalen Ethik“ könnte man vielleicht sagen.
Die interkulturelle, universelle Ethik wird geprägt durch „Geiz ist geil“ und „Leistung muss sich wieder lohnen!“
Von den Leistungsträgern wird Solidarität nur dann akzeptiert, wenn sie ihnen selbst einen Vorteil bringt.
Der Preis ist: Minderung des primären Gewinns.
Der Ertrag ist: Erhöhung des sekundären Gewinns durch sozialen Frieden.
In der gegenwärtigen Entwicklungsphase werden die Schwachen von den Leistungsträgern nicht als Bedrohung oder als wirtschaftliches Risiko wahrgenommen. Damit entfällt die Notwendigkeit der Solidarität.
Der Zustand „Kapitalismus“ stellt ein
stabiles Gleichgewicht dar. Er stellt sich immer dann ein, wenn man jede vorsätzliche Stabilisierung unterlässt und allen Bedingungen freien Lauf lässt.
Er ist sozusagen selbstentpackend. Er hängt als hässliche *.EXE-Datei an irgend einem Zipfel unseres Genoms und sorgt dafür, dass das Programm „Soziale Gerechtigkeit“ vom Betriebssystem nicht unterstützt wird.
Sozial gerechte Gesellschaften entstehen vermutlich nur nach großen Katastrophen, in Momenten, in denen selbst die Leistungsfähigen überzeugt sind, von einer fundamentalen Veränderung zu profitieren.
So gesehen war die Soziale Marktwirtschaft auch nur ein kurzlebiges Nachkriegsphänomen.
Ich wäre einer der glücklichsten Menschen, wenn man mir beweisen könnte, dass ich damit Unrecht habe.