Hier mal der Versuch, alles zu beantworten:
Alltag:
Der Alltag unterschied sich vor allem dadurch, dass man mehr Zeit mit der Suche nach bestimmten Angeboten verbrachte und auch oft noch nach der Arbeitszeit irgendwie mit "gesellschaftlicher Tätigkeit" beschäftigt war. Außerdem mußte ich im Winter Kohlen schleppen und Holz hacken (Hat aber mehr mit der vergangenen Zeit zu tun)
Arbeit:
Die gesetzliche Arbeitszeit war 8 3/4 Stunden = 43 3/4 Stunden-Woche in Normalschicht (z.B. Büro) oder 8 Stunden = 40-Stunden-Woche im Dreischichtsystem. Die Arbeitszeiten waren strenger geregelt als heute, Gleitzeit gab es nicht.
Arbeitslosigkeit gab es nicht. Fast an allen Betrieben hingen Schilder - Arbeiskräfte gesucht.
Eine Stütze wie ALG2 gab es nicht, im Gegenteil, wer nicht arbeiten ging konnte wegen "asozialem Verhalten" ins Gefängnis kommen (Straftatbestand).
Frauen und Kinder:
Es war gewünscht, dass Frauen arbeiten gingen, aber meine Mutter war fast ihr ganzes Leben Hausfrau und das war auch kein Problem. Kindereinrichtungen (Krippen, Kindergärten,Horte) gab es genügend, natürlich manchmal nicht genau vor der Nase (dann mußte man sich eben ein,zwei Jahre früher anmelden) und es kostete fast nichts. Essengeld mußte bezahlt werden.
Viele Betriebe hatten für ihre Leute gleich eigene Einrichtungen, um die Arbeiter an sich zu binden.
Kindergeld gab es auch, es war aber nicht hoch (Ich weiß nicht, ob ich mich richtig erinnere, mir sind Beträge von 20.- M bis 80.- M in Erinnerung - bin aber schon alt)
Schule / Abi:
Das dumme dreigliedrige Schulsystem wie heute gab es nicht. Es gab die allgemeine
10-klassige "Polytechnische Oberschule" = POS für alle. Auf Antrag und Befürwortung der Lehrer war der Besuch der "Erweiterten Oberschule" = EOS = Gymnasium möglich. Die EOS ging von der 9, bis zur 12.Klasse (entsprechend G4) Für lernschwächere Schüler war auf Antrag auch das Abgehen nach der 8.Klasse POS möglich. Hilfsschulen bildeten die unterste Ebene für geistig Behinderte.
Die Schulen waren in ihrer Mehrheit Ganztagsschulen, nur den Begriff gab es noch nicht. Es fand einfach nachmittags auch Unterrich statt und Arbeitsgemeinschaften waren im Angebot. Teilweise auch betreutes Hausaufgaben-Erledigen.
Das Abitur wurde nach der 12.Klasse EOS oder im Rahmen einer Berufsausbildung mit Abitur abgelegt. Es berechtigte, sich an einer Hochschule oder Universität zum Studium zu bewerben. Die mögliche Fachrichtung war stark vom Zensurendurchschnitt, aber auch von "gesellschaftlicher Aktivität" abhängig (FDJ-Mitglied, GST, DSF)
Freizeit
:
Die Freizei war sicher ähnlich wie heute, es gab Sportvereine, Diskos. auch die GST mache Angebote (Segelfliegen, Motorsport). Es gab aber auch "verordnete Veranstaltungen", denen man sich besser nicht entzog.
FDJ:
Ich schätze, dass mehr als 95 % aller Kinder Pioniere-Thälmannpioniere und dann FDJ-ler wurden. Der Beitrag waren nur paar Pfennige. Nur die Kinder harnäckiger Christen usw. waren nich in den Jugendorganisationen. Die Folge - Null-Chance zu studieren, eventuell schlechtere Noten und nur Nachteile.
Das Ausspähen der eigenen Eltern halte ich für eine extreme Ausnahme. Es geschah eher unwissentlich. Kinder wollten ja bei den Pionieren dabei sein, in der Gemeinschaft, und konnten eine ablehnende Haltung ihrer Eltern nicht verstehen, da haben sie vielleicht auch schon mal was von zu Hause erzählt, was sie besser nicht gesagt hätten
Feiertage:
Die Zahl der Feiertage hat sich nicht wesentlich verändert, nur waren christliche Feiertage oftmals keine arbeitsfreien Tage, dafür waren Frauentag (8.März) Tag der Befreiung (8.Mai) und Tag der Republik (7.Oktober) arbeitsfreie Tage.
Medien:
Dass es nur zwei Fernsehsender gab, entsprach der Zeit, es gab in Westdeutschland auch noch kein Privatfernsehen und die DDR war auch kleiner. Wir hatten noch einen russischen Militärfernsehsender als drittes Programm. Das Erste DDR-Fernsehen entsprach von der Programmstruktur durchaus der ARD, mit einem kleinem Touch zu etwas mehr Propaganda, das zweite DDR-Fernsehen wurde leider nach einem recht positivem Start später zu einem Sender für Russisch mit Untertiteln.
Westfernsehen war nie offiziell verboten, es war "verpönt". In den 60-er Jahren liefen FDJ-Gruppen von Haus zu Haus und sahen an der Form der Dachantenne, wer Westfernsehen empfing. (Ochsenkopf Kanal 4 = 2,2 m lange Dipole) und klebten an die Hauswand sinnige Sprüche, wie "Der Ochsenkopf auf dem Dach, der Klassenfeind im Schlafgemach".
Für den Westfernsehempfang gab es keine Strafen, nur wer in der SED war bekam ein Parteiverfahren. Allerdings konnte man eine gestohlene West-Antenne auch nicht bei der Polizei anzeigen. Ich kenne eine Entscheidung des Bezirksgerichts Karl-Marx-Stadt, wo der Richter den Rechtsschutz so einer Antenne ablehnte. Ich kenne aber nur wenige Leute, die kein Westfernsehen gesehen haben. Es war normal. Nur im Osten der Republik war es technisch schwierig, den Westen zu empfangen. Ich kenne Leute, die haben 20 m Antennenmaste mit Vierergruppen von 30-Element-Yagis errichtet.
Eine Vielfalt von Zeitungen und Radiosendern gab es, nur kaum verschiedene Informationen
Pressefreiheit im heutigen Sinne war ein Fremdwort, hatte aber auch den Vorteil, dass es keine ständigen Horrormeldungen wie heute von BILD und Co über Mord, Sex, Raub usw. gab.
Stasi:
Vor der Stasi hatte man normal nichts zu befürchten. Es sei denn, man hat irgendwie sich gegen den Staat ausgesprochen oder exponiert. Meine Stasi-Begegnungen waren eher lachhaft. Eine Fehlzündung meines Motorrades bei einer Fahrt durch den Wald veranlaßte den Revierförster, mich anzuzeigen wegen Schußwaffenbesitzes - eine Nacht Verhör - weiter nichts. Ein Aufsatzthema in der Schule - Bewerbung - was ich, um meinen des Französischen unkundigen Deutschlehrer zu ärgern in Französisch an eine erfundene französische Firma schrieb, führte zum Vorwurf der geplanten Republikflucht. Zum Glück hat die Staatsanwältin ob des Witzes gelacht.
Angst vorm "IM" hatte ich nie, ich habe eher heute mehr Mißtrauen zu meinen Mitbürgern.
Ich habe meine Stasi-Akte nie gesehen, vielleicht würde ich da eine Überraschung erleben
Lebensmittel
Rationierte Lebensmittel kenne ich nur aus meiner Kindheit, in den 50-er Jahren gab es noch Buttermarken. Höhere Preise dafür gab es nie, höchstens lange Schlangen. Es gab mal Bananen, sofort eine Riesenschlange und die Verkäuferinnen teilten von sich aus jedem pro Kopf nur zwei oder drei zu, damit möglichst viele Leute was bekamen.
Eigentum:
Geld war im Überfluss vorhanden, zumindest bei normal sparsamen Leuten. Lebensmittel waren spottbillig, auch der normale Bedarf. Alle etwas luxoriöseren Arikel wie Fernseher, Auto, und .. und... waren dafür extrem teuer.
Wohnungen waren sicher im Durchschnitt etwas kleiner als im Westen, aber heute habe ich die kleinste Wohnung meines Lebens, wegen der heutigen Mieten. Damals habe ich 50,50 M für 90 qm bezahlt, jetzt
Urlaub war kein Geld-Problem, ich war fast jedes Jahr an der Ostsee, ansonsten an Binnenseen. Die Plätze waren nur begrenzt. Im Ausland war ich in Russland, in Tschechien in Polen und eine angebotene Kubareise habe ich abgelehnt. Reisen durfte man praktisch in alle sozialistischen Länder, mein Vater als Rentner dann auch in den Westen.
Es gab auch wirklich reiche Leute, die hatten aber dann zum Teil zur Wende Probleme, ihr Vermögen zu transferieren.
Partizipation:
Es gab fünf Parteien - SED, LDPD (liberal), NDPD (national), CDU, und Bauernpartei.
Antisozialistische Zusammenschlüsse waren erst kurz vor der Wende ein Thema, ansonsten strafbar.Es gab viele Organisationen - vom Konsum bis zur GST, Kleingärtner, sogar Kleingewerbetreibende und Unternehmer. Es gab Wahlen und sicher wurden diese in den meißten Fällen auch ordentlich ausgezählt, erst als die große Flucht- und Protestbewegung begann, wurde auf Bezirksebene auch massiver Wahlbetrug begangen. Die in 40 Jahren DDR an 90 + X Zahlen gewöhnten Funktionäre wollten diese Zahlen ja auch weiterhin nach oben reichen.
Der Druck auf die Bürger überhaupt zur Wahl zu gehen, war teilweise örtlich extrem. Die kamen sogar extra mit der Wahlurne bei einem zu Hause vorbei. Dank des Systems "Nationale Front" der Blockparteien konnte man ja eigentlich nicht mit "Nein" stimmen.
Ich hoffe, Deine Fragen sind umfassend beantwortet, wie kann ein Mensch nur so viele Fragen haben ???
Wenn es nicht reicht, schreib mir eine E-Mail im Forum, ich gebe Dir meine Telefonnummer und wenn Du eine Flatrate hast, kannst Du mich einen ganzen Tag löchern - ich bin Rentner .
Ich habe auf Grund des umfänglichen Textes und der fortgeschrittenen Zeit nicht alles korrigiert, meine T-Taste hängt ein bißchen
DeutschLehrer