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Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#1 von Freidenker , 14.08.2012 19:12

Die Leistungsgesellschaft - ein Gedicht

Hört euch jetzt an, wie viele stöhnen, in dieser
überregulierten Welt. Viele möchten sich mit ihr
versöhnen, sie durchschauen das System, schreien
nicht nur nach Geld.

Ich bin Banker, und aus Angst vor Fehlern krieche
ich mit feuchten Händen und nassem Hemd. Ich werde
gemobbt, bin stark verklemmt. Seriösität, das wird
von mir verlangt, von den Gangstern in der Bank.
Ich steige aus, es langt.

Ich bin Psychiater, an Patienten besteht kein Mangel,
das Volk, es leidet, ist sehr bange. Vor lauter
Patienten bin ich selbst nicht mehr ganz klar im
Kopf, was soll ich machen - wer hilft mir - schon wieder
stehen 100 Fälle vor der Tür.

Ich bin Unternehmer, jahrelang machte ich Geschäfte
mit der Bank von nebenan. Doch wehe dir, die letzte
Rechnung bleibt noch offen, die Bank verhält sich
wie besoffen. Sie gibt den Fall der Rechtsabteilung
und quetscht den letzten Taler aus mir raus. Statt
abzuschreiben, zu verzichten, macht sie noch Arbeit
den Gerichten. Droht ihr selbst die einmal Pleite,
mit Steuergeldern steh ich ihr beiseite.

Ich bin Versicherungsexperte, spiel mit den Ängsten,
das bringt Geld. Kleingedrucktes, Stornoquoten, darüber
schweige ich. Ich bin link und finde mich unmöglich.

Ich bin Lehrer, lass Kinder büffeln, schwitzen und
sitzen. Nervlich bin ich fertig, nur noch ein Wrack.
Ich muss früh in Pension, ich armer Sack.

Ich bin Anwalt, emotionslos und eiskalt. Vollmacht,
Vorschuss, dann Vergleich. Mit der Sutane quatsche
ich die Richter weich. Doch Aktenberge, Protokolle
und Beschlüsse, in den Papierenstecken viele harte Nüsse.
Und ständig ändern sich die Gesetze, Termindruck,
es ist nur noch eine permanente Hetze.

Ich bin Steuerberater, blick nicht mehr durch. Ständig
ändert sich das gottverdammte Steuerrecht, Mandanten
schimpfen, ihnen wird schlecht. So viel Papier, so
viele falsche Zahlen, ich bin genervt und leide Qualen.

Ich bin Ingenieur, baue Autos, Software und Maschinen,
möglichst komplex und kompliziert, das sich der Nutzer
darin verirrt. Er flucht, fängt laut zu schreien an:
"Ich blick nicht durch, da muss der Fachmann ran."

Ich bin Facharbeiter, auf einen grünen Zweig komme ich
nie, Kosten, Abgaben und Steuern zwingen mich und meine
Familie in die Knie. Inflation und Kaufkraftschwund,
ein Sklave bin ich, ein armer Hund.

Ich bin Leiharbeiter, arbeite zum halben Lohn. Bin ich
blöd? Ist das gerecht? Aussteigen werde ich, das weiss
ich schon, wenn ich nicht krieg den doppelten Lohn.

Ich bin Arzt, zu Minisätzen klopfe und horche ich im
Akkord an Alten, Kranken und Lahmen. Habt mit mir
doch mal Erbarmen.

Ich bin Patient, der Krebs hat mich erwischt, im
Akkord geleierte Trostsprüche von Pfaffen brauche
ich nicht. Die letze Ölung sollen diese Hinterweltler
sich doch selber geben, bald steig ich aus, aus diesem
gottverdammten Leben.

Ich bin Unternehmensberater, blöffe mit Grafiken und
Sprüchen. Doch viele Kunden meinen, "Gelesen, gelacht
und gelocht" - Ein Folgeauftrag, kommt er noch?

Ich bin Finanzbeamter und genau so gierig wie die
Banker. Penibel wühle ich in Akten und Papieren,
manchmal lass ich mich auch schmieren. Das bringt
Geld, nur leider bin ich ein sehr unbeliebter Held.

Ich bin ein kleiner mieser Bürokrat, halb Mann,
halb Schreibtisch, ich brauche dringend ärztlichen Rat.

Ich bin Politiker, knicke ein bei Lobbygruppen, will
das mich alle wählen, Machterhalt und Wählerstimme ist
das was für mich zählen. Ich werde beschimpft und
attackiert, Eier und Tomaten fliegen. Ich sehe schwarz
und habe Angst vor Rot, ohne Leibwächter wäre ich
längst tot.

Ich bin Journalist, knallige und krawallige Sensationen
sind meine Stärke. Mit Übertreibungen und Provokationen
gehe ich zu Werke, Schmuddelkram, Sexklatsch, Tratsch,
Mord und Gewalt, steigende Auflagen sind gut fürs Gehalt.
Wahr ist es selten, was ich schreibe, ein Tagelöhner bin ich,
ich saufe und leide.

Ich bin Rentner, lebe einsam und verlassen, mein Lebenslicht
wird bald verblassen. Vorsorge und Rente waren ein schlechter
Deal, und die harte Arbeit, das war alles viel zu viel. Ob man
mich findet, wenn mir etwas passiert? Ist auch egal, ich
bin frustriert.

Ich bin Schüler, Qualifizierungen, Prüfungen und Kurse,
das ist mir alles viel zu viel. Ich steige aus ihr Streber,
ihr, ihr Prüden, ich will leben, am Strand, im Süden.

R.O.

Gedicht aus der www.freidenker-galerie.de


R.O.

 
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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#2 von Hansrudi , 23.09.2012 09:14

Es müßte Pflichtlektüre in Schulen werden !

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#3 von sorbenglanz 1 , 23.09.2012 09:29

Wow. Klasse. Das werde ich wohl noch ein paar mal lesen müssen.


Das Leben ist schön.

 
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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#4 von delta , 23.09.2012 10:35

Da habe ich wohl was zu spät erkannt.......


wer fehler findet, darf sie behalten, ich habe reichlich davon.

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#5 von Freidenker , 19.12.2012 12:25

Ich danke für euer Lob.

Schöne Grüsse
Rainer


R.O.

 
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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#6 von lutzi , 21.12.2012 00:07

Hallo Allen.....

Wenn ich mir das Verkehrchaos heute in Heilbronn angeschaut habe...Alles vorwärts(ging ja nicht vorwärts) in die Geschäfte dann weiss ich wie krank die Gesellschaft ist...

Gutes Gedicht...

Grüssle von Lutzi

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#7 von Smithie23 , 22.12.2012 00:17

Ich wollts auch noch ansprechen: vor Weihnachten herrscht Ausnahmezustand. Am besten noch am 24.12. frühs los, um Geschenke kaufen. Und der Stress geht am 27.12. weiter, wenn die Hälfte der Leute ihr Zeug wieder umtauschen und Gutscheine einlösen (die sind meist 2 Jahre und länger gültig !!!!!) und fürs nächste lange Wochenende einkaufen. Ich habe nix gegen große Menschenmassen und rumstressen und rumspacken tu ich auch nicht - weil es dadurch weder schneller geht, noch gut für mein Herz ist - aber ich muss mich echt zusammenreißen, dass mich die Hektik der Leute nicht ansteckt. Zum Glück hab ich alles beisammen und meine bessere Hälfte ebenfalls.

Ich freu mich aber besonders über die arbeitnehmerfreundlichen Tage: 22.12. - 26.12. / 29.12. - 01.01.

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#8 von queeny , 22.12.2012 16:16

Jo, freie Tage kann jeder brauchen. Vergesst nicht die Handys auszuschalten, damit weder Arbeitgeber noch Verwandte Stress machen. Und Festnetztelefone kann man prima vom Netz trennen. Bei mir herrscht spätestens ab dem 24. Dezember um 16 Uhr herum Funkstille bis einschließlich 1. Januar 2013.


Wenn Ihr Eure Augen nicht braucht um zu sehen, werdet Ihr Sie brauchen um zu weinen.

Jean-Paul Sartre

 
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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#9 von delta , 22.12.2012 16:52

Einkaufsstress kenne ich nicht...ich mache einfach diesen Konsumzwang nicht mit.....gebe mein Geld für keinen schnickschank aus......
Weihnachten besteht nicht aus Geschenke......


wer fehler findet, darf sie behalten, ich habe reichlich davon.

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#10 von Ilrak , 22.12.2012 17:21

Einkaufsstress ? Hat höchstens der DHL-Bote, der den ganzen Kram dann bei uns abkippt
Mal ehrlich, was in Köln in der Innenstadt los ist, ist der Horror. Denken die alle, die bekommen da was geschenkt
oder was soooo besonderes, was es sonst nirgens gibt ?
Wie wär´s mal mit was selbstgemachten, wenn´s nur ´ne Kleinigkeit ist.
Ich hab meiner Tochter eine Wandleuchte gebaut, die sonst so niemand hat.


Vorbeugen ist besser als nach hinten fallen.

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#11 von Pamina , 23.12.2012 07:28

Wow, Ilrak, das ist ja mal prima, hoffe, dass sie das zu würdigen weiß.
Jedenfalls ich finde es Klasse.
Meine Tochter denkt sich jedes Jahr tolle Adventskalender für ihre Großeltern aus und schickt sie dann in den Norden hoch.
Das ist für die zwei alten Leutchen immer ein Höhepunkt und eine ganz große Freude, auch für mich.
Ich denke auch, dass gerade in unserer Leistungsgesellschaft ganz elementare Werte wieder viel mehr gepflegt werden müssten.
Nächstes Jahr Weihnachten werde ich es auch wieder versuchen, dieses Jahr habe ich mich wieder von diesem ganzen Konsumstress einwickeln lassen. Schade!

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#12 von delta , 23.12.2012 11:53

Richtig llrak...hierzu mein Beitrag....
das ist mein aktueller selbstgebauter Advent und Weihnachtsschmuck in drei Bilder.......übrigens:...Miesepeter werden wohl sowas kaum nicht bauen......


wer fehler findet, darf sie behalten, ich habe reichlich davon.

Angefügte Bilder:
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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#13 von Kehrwoche , 23.12.2012 12:04

Schön delta!

PS: kaum nicht = ausschließlich, ausnahmslos ... etc.pp.


Der Übergang vom Affen zum Menschen sind wir.
Konrad Lorenz

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#14 von delta , 23.12.2012 15:49

ist schon gut, hauptsache du kannst dabei stänkern......


wer fehler findet, darf sie behalten, ich habe reichlich davon.

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RE: Wie krank ist unsere Gesellschaft?

#15 von Gogelmosch , 23.12.2012 16:16

Klasse Delta! Besonders das 3.Bild, sehr effektiv.
Selstgebaute Dinge erfreuen manchmal mehr, als
irgendwo in den Konsumtempel Gekauftes!


Es hat alles seinen tiefen Sinn

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