Zitat von Engineer im Beitrag #21
@ BW, das würde mich wirklich mal interessieren: Was empfindest Du als Wessi in diesem Film positiv über die DDR.
Viele kannten die DDR vor 1989 -wenn überhaupt- nur durch Transitreisen von/nach Berlin oder durch Erzählungen von Freunden / Nachbarn, die aus der DDR stammen und gelegentlich Freunde dort besuchten. Unsere Familie hat nur einen aus dem Rheinland ausgewanderten Großonkel in Berlin-Charlottenburg gehabt, der nach Kriegsende seine aus Köpenick stammende Frau heiratete.
Meine Tante in Wien und Freunde der Eltern in Holland oder Frankreich haben wir alle paar Jahre besucht, der Grenzverkehr war nicht wirklich streng. Unser Großonkel kam auch öfter zu uns, er war ja Rentner und hatte demnach auch Zeit und traf dann seine ursprüngliche Großfamilie auch im Ruhrgebiet oder Rheinland. Etwa 1985?? wollten wir ihn mal besuchen, ich hatte schon Fahrstunden gehabt und der Fahrlehrer hat uns auch über die Verhaltensweisen an der Transitstrecke informiert, so dass die Strafen gestaffelt seien nach Größe bzw. Wert des genutzten PKW's, so wurde für ein und das selbe Vergehen in einer Ente (CV2) geringer gewertet als in einem dicken Daimler-Mercedes-Benz. Die Grenzanlagen haben mich im Vergleich zu den westlichen Grenzen oder zu Österreich umgehauen, dieser Panzer auf der Säule und dieses militaristische Gehabe, nicht nur an der Grenze selbst, nein auch auf der Transitstrecke lauerten gelegentlich auf dem Grünstreifen getarnte Armeefahrzeuge, fast wie im Krieg. An der Raststätte standen dann noch Uniformierte vor den Klohäuschen, um ggf. konspirative Ost-West-Familientreffen zu unterbinden. Total krass war dieser Eindruck. Es war im Frühjahr, vielleicht ein langes Oster-, Pfingst-, odeer 1. Mai-Wochenende. In Charlottenburg angekommen, wurden wir Kinder dann in der Pension am Liezensee/Neue Kantstr. einquartiert, unsere Eltern nächtigten in der kleinen Wohnung der Großtante & des Großonkels auf der anderen Seite des Kaiserdamm's in einem Hinterhaus. Gesehen hatten wir von Berlin an diesem Ankunftstag noch gar nichts. Nachts im Bett der Pension bekam ich einen Platzangst-Koller, fühlte mich durch die Eindrücke durch die Transitanreise total beengt und eingesperrt, von der Größe der Stadt, in der 2 Mio Menschen leben sollten und viel Waldflächen waren wußte ich zwar, musste aber raus auf die Straße. So sind meine Schwester und ich raus, gelaufen und gelaufen und irgendwann ein paar Stationen mit der U-Bahn gefahren. Von der Mauer (die ich bis dahin noch nie gesehen hatte) oder Waldgrenze keine Spur zu sehen. Erst danach konnte ich einschlafen. Am nächsten Tag hat uns dann der Großonkel zum Brandenburger Tor (mit Holztribüne zum DDR-Bürger-Bewinken - niemand hat zurück gewunken!), Reichstag, sow. Ehrenmahl, Springerhochhaus, Kudamm, Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, Bahnhof-Zoo, Café Kranzler, KaDeWe etc. gefahren. Der Funkturm (Langer Lulatsch) sowie das CCC Congres-Centrum Schloß Charlottenburg und Schloßpark mit den frechen Eichhörnchen, die schon Eva Braun angegriffen hatten, war ja gleich um die Ecke. Später dann durch die ausgiebigen Wälder und zur
Agentbrücke. In Westberlin hat man von dem Militarismus kaum was bemerkt, vielleicht am Checkpoint Charly. Da wir nur ein paar Tage in Charlottenburg waren, haben wir nur etwas in Westberlin sehen. Die Großtante und der Großonkel haben uns einen Ostberlin-Besuch ebenso wie das Tanken auf der Rückfahrt an der Transitstrecke "verboten", da wir damit die DDR wirtschaftlich unterstützen würden und das wollten sie nicht. Das war alles viel zu kurz.
Im Sommer des gleichen Jahres sind also mein Cousin und ich nochmals für 2-3 Wochen auf nach Charlottenburg, da wir nicht bei Großtante & -onkel wohnen wollten fanden wir ein Kloster, ebenfalls am Lietzensee gegenüber, wo uns während der Sommerferien im Keller der Jugendarbeit Unterschlupf gewährt wurde, samt eigenem Schlüssel für ungehinderten Zutritt 24h/d. - Galaktisch! (An dieser Stelle noch mal vielen herzlichen Dank an die Nonnen des Klosters für das entgegengebrachte Vertrauen!!) Zum Frühstück sind wir dann morgens bei den lieben Verwandten erschienen und waren tagsüber/nachts unterwegs. Einen heimlichen Tagesausflug nach Ostberlin haben wir natürlich auch gemacht :-) Wir hatten nur die wichtigsten Dinge dabei, wie diesen obligatorischen Reisepaß, damit die Grenzer was zu stempeln hatten und Geld nur für die Visa und den Zwangsumtausch sowie die U-Bahn-Tickets von/nach Friedrichstraße. So waren wir am frühen Abend bereits pleite, da wir alles verpraßt hatten :-) (Angeblich ein Ding der Unmöglichkeit).
Zum Kaffee haben wir eine Konditorei entdeckt, die im Schaufenster einen einzigen pinkfarbenen Kuchen hatte, also bestellten wir am Bistro-Tisch zwei Tassen Kaffee und zwei Stücke pinke Sahnetorte. Als wir nach Kuchengabeln fragten, hieß es "hamwa nich!", selbst Löffel oder großes Besteck gab es keines - man reichte uns aber Pergamentpapier - das Essen damit war sehr kultig, aber o.k.
Abends haben uns dann noch ein paar nette Berliner zum Bier irgendwohin eingeladen, ein edler Laden mit gediegenem Messinggeländer ins UG. (Sie wußten von uns, dass wir weder M noch DM zum Tausch hatten, das war egal). Danke!
Später war ich noch mindestens einmal alleine in Ostberlin. Da habe den Wessis und den Touris auf der Holzrampe am Brandenburger Tor mal - als einziger! - zurück gewunken. Schwupp kamen aus dem Nichts ein Rudel Uniformierter und "Zivilisten", Paßkontrolle und das übrige militaristische Gehabe, ein Jugendlicher winkt den Klassenfeind an oder so was ähnliches - Skandal! Dramatisch! Fast schlimmer, als hätte ich Mohamedkarikaturen unter den Linden gezeichnet. Als "Bundi" wurde ich dann des Platzes verwiesen - von diesem geheiligten volkseigenem Boden. 'bin dann in die Straßenbahn gestiegen und irgendwohin gefahren, fand diesen Automaten mit Kurbel witzig, der das Fahrgeld der letzten sechs? Kunden in zwölf wabenförmigen Fächern aus Plexiglas anzeigte. Ein Thema für die übrigen Fahrgäste war gefunden :-) .... huch, die Bahn fuhr bis Köpenick oder darüber hinaus, eine Station nur, dann packte mich die Angst da das Verlassen Ostberlins laut Visum nicht gestattet war und überall Uniformierte, aber auch scheinbare "Zivilisten" - also retour, Abenteuer mehr als genug - wären dann nicht Conny & Katrin am Alex in die Bahn gestiegen, wäre ich sofort fix über Friedrichstr. abgehauen. "Republikflucht eines Wessis".
@Engineer, nach diesem langen Prolog - nur zum Verständnis wie die Grenze und Ostberlin (die DDR in der Fläche kannte ich vor 01.01.90 nicht!) auf mich als Wessi gewirkt haben. Verwandte aus der DDR haben wir, außer der angeheirateten Großtante, nicht. Daher ist dieses Empfinden natürlich auch nicht repräsentativ für andere Wessis, sondern rein subjektiv. Die Berichte von Klassenkameraden oder Nachbarn, die überwiegend aus dem Eichsfeld stammten, waren die einzigen Quellen an die ich mich aus meiner Kindheit/Jugend erinnern kann und diese Berichte waren eher von Willkür und Schikanen an der Grenze beim Heimatbesuch geprägt. Als ehemalige "Republikflüchtlinge" -das war ja noch schlimmer als am Brandenburger Tor zu winken- wurden diese natürlich nicht mit Samthandschuhen angefaßt, das Auto regelmäßig zerlegt, es hätte sich ja ein Burda-Strickmuster oder eine "Brigitte" im Polster finden können.
Um Deine Eingangsfrage nun zu beantworten, der 1. Teil des Filmes hat von all diesem Gezerre, Willkür und vor allem diesem Militarismus wie in einem Polizeistaat nichts berichtet oder dargestellt, dies war jedoch das Bild was viele Wessis von der DDR hatten. Von daher meine ich, dass der Film (zumindest im 1. Teil) die DDR positiver dargestellt hat als in der Erwartung "der Wessis". Selbst bürgerliches Leben war möglich.